Allgemeines


Lebendige Tradition des Orients

"Der Tanz begann in langsamem Takt, beide Hände über den Kopf gehalten, während die klimpernden Metallstückchen an ihren Shawls und zwei kleinen metallenen Cymbeln, die an Daumen und Mittelfinger befestigt waren, mit der Musik Takt hielten. [...] Sie war geschmeidig wie eine Schlange und behend wie ein junger Panther, und einige ihrer Bewegungen erforderten ganz außerordentliche Kraft und Kühnheit, um sie auszuführen und sie anzubringen, ohne den Rhythmus des Tanzes zu verletzen. [...] Sie konnte ihren Körper von der einen Seite nach der anderen bewegen, so dass er sich von den Hüften bis zu den Schultern wie eine Schlange krümmte."

Diese Schilderung eines Tanzes, den der Ägypten-Reisende Bayard Taylor in den Jahren 1851/1852 in Luxor beobachtet hatte, gibt Zeugnis von der Faszination, die viele Europäer und Amerikaner empfanden, wenn sie auf ihren Reisen durch den Mittleren Osten oder Nordafrika auf die dortigen Tänze trafen. Was die Reisenden des 19. Jahrhunderts im Orient zu sehen bekamen, stand in krassem Gegensatz zu den eng geschnürten Korsetts und den steifen Bewegungsformen ihres eigenen Kulturkreises. Fließende Stoffe, die den Körper nicht einengten, sondern locker umspielten und teilweise wenig verhüllten, sowie Bewegungen, die aus der Körpermitte kommend sich über den ganzen Körper fortsetzten, stießen bei den westlichen Betrachtern abwechselnd auf Erstaunen, Begeisterung oder Abscheu. Zwar gab es auch tanzende Männer, doch im Zentrum des Interesses standen vor allem die Frauentänze. Vor dem Hintergrund ihres eigenen Wertesystems empfanden die abendländischen Besucher die weit körperbezogenere, erdverbundene Art der Orientalen zu tanzen als erotisch und provozierend. Ein Klischee, das dem Orientalischen Tanz leider bis heute anhängt.

Orientalischer Tanz - eine jahrhundertealte Tradition

Tatsächlich entstammt der "Bauchtanz", "Belly Dance" oder "Dance Du Ventre", wie der Westen diese Tanzart während der Kolonialzeit bezeichnete, einer jahrhundertealten Tradition. Genaueres über seine Herkunft und Entwicklung weiß man nicht, da es nur wenig gesicherte Quellen gibt. Angenommen wird aber, dass der Tanz mit seinen schwingenden und vibrierenden Becken- und Hüftbewegungen ursprünglich auf einen Fruchtbarkeitskult zurückgeht. In den arabischen Ländern und der Türkei verbreitet, gilt Ägypten als der Ursprung und das Zentrum des Orientalischen Tanzes. Dabei wird unter dem Begriff "Orientalischer Tanz" (in England als "Oriental Dance" und in Frankreich als "Danse Orientale" bezeichnet), den man heute dem klischeebehafteten und irreführenden Begriff "Bauchtanz" vorzieht, eine Vielzahl unterschiedlicher Tanzstile zusammengefasst. Der Form, die heute in der westlichen Welt getanzt wird, entspricht in Ägypten noch am ehesten der "Raqs Sharqi". Er ist aber bereits eine jüngere Tanzform, die Glitzerkostüm, Schleier und bühnenwirksame, raumgreifende Bewegungen wiederum von den westlichen Interpretationen übernommen hat. Den stärker volkstümlichen Tanz, der dem ursprünglichen ägyptischen Tanz noch näher steht und in schlichterem Kostüm getanzt wird, bezeichnet man in Abgrenzung dazu als "Raqs Baladi". Hinzu kommen außerdem noch eine Vielzahl von ägyptischen Folkloretänzen der übrigen arabischen Länder und Tänze von nomadisierenden Volksgruppen, die sich wiederum mit der ägyptischen Tanzkultur mischten. In Persien (Iran) kennt man den "Raqs Arabi", in Griechenland den "Ciftetelli" und in der Türkei spricht man vom "Gobek Dans" oder "Rakkase".

Der Tanz - so individuell wie seine Tänzerin

Auch heute noch sind das Charakteristische am Orientalischen Tanz oder Tanz des Ostens seine sogenannten "Isolationen". Es bewegt sich eben nicht nur der Bauch, wie der Begriff Bauchtanz das annehmen lässt, sondern die Bewegungen fließen von der Mitte, der Bauch- und Beckenpartie ausgehend durch den ganzen Körper, wobei sich einzelne Körperpartien wie Schultern, Hüfte, Kopf unabhängig voneinander bewegen. Der Rhythmus der Musik bestimmt das Tempo und die Schrittfolgen, während die Melodien der Instrumente wie zum Beispiel Geige, Flöte oder Akkordeon mit Händen, Armen, Rumpf und Becken nachvollzogen werden. Dabei lässt der Tanz viel Raum für Improvisation und den persönlichen Ausdruck der Tänzerin. Dadurch, dass es keine starren Schrittfolgen gibt, entsteht Raum für Neues und die Tänzerin kann sich frei entfalten. Orientalischer Tanz ist also so individuell wie seine Interpretation.

   Vom Orient zum Okzident - oder der Traum von 1001 Nacht

Schon bevor der Orientalische Tanz erstmals in der westlichen Welt getanzt wurde, boomte der „Orientalismus“ in Europa. „Schuld daran“ waren die Berichte der Orientreisenden des 19. Jahrhunderts, die die fremde Kultur aus ihrem eigenen, in der Regel verklärten Blickwinkel beschrieben. Der Orient – das war für die einen ein geheimnisvoller, exotischer Ort, die Märchenwelt aus 1001 Nacht mit Sultans, Harems und erotisch-sinnlichen Genüssen. Für die anderen war er barbarisch, unzivilisiert und das absolute Gegenteil der modernen westlichen Welt. In jedem Fall war er das ganz Andere, das zugleich abschreckte und faszinierte. Schon bald beschäftigten sich Maler, Dichter und Künstler mit dem Orient, ohne jedoch jemals dort gewesen zu sein und auf Bällen und in Salons wurden exotische Kostüme und Gewänder getragen.

Für Furore sorgte schließlich der Auftritt der syrischen Tänzerin Farida Mahzar 1893 auf der Weltausstellung in Chicago. Ihre Vorführungen wurden zum Publikumsmagneten, in der Folge brach eine wahre Orientwelle aus. Es gab viele Nachahmerinnen, vor allem im modernen Tanz, die diese „neue“ Form des Tanzes in ihre Auftritte integrierten.

Parallel dazu änderte sich in Ägypten und den anderen arabischen Ländern mit dem zunehmenden Touristenstrom auch der Tanzstil. Die Darbietungen passten sich stärker westlichen Vorstellungen an. In den 20er Jahren wurde der ursprünglich auf den Straßen und bei Feierlichkeiten dargebotene Tanz zum Bühnentanz nach Vorbild der westlichen Varietés. Durch die aufkommende Filmindustrie und die Massenmedien erlangten die arabischen Tanzstars Bekanntheit. Hollywood begann Musicalfilme im Stil von 1001 Nacht zu drehen und auch in Ägypten begeisterten Musikfilme das arabische Publikum. Prägend für die heutige Zeit und den heutigen Solotanz war wohl das Goldene Zeitalter des Orientalischen Tanzes im Ägypten der 1940er bis 1960er Jahre. Die ägyptischen Musikfilme hatten mit der Darstellung der alten Traditionen wenig gemein, vielmehr übernahm man bewusst Klischees à la Hollywood und zeigte eine Traumwelt mit verführerisch erotisch-lasziven Tänzerinnen.

Heute entdecken mehr und mehr Frauen in der westlichen Welt den Tanz für sich. In Deutschland gibt es in allen Städten Kurse und Seminare, in denen Frauen den Orientalischen Tanz erlernen können, sowie Festivals, Veranstaltungen, Basare oder Fachmessen zum Thema Orientalischer Tanz.

(Ausarbeitung von Alexandra Emge)

Quelle: Bounaventura, Wendy: Die Schlage vom Nil. Frauen und Tanz im Orient. Roger & Bernhard Gmbh & Co. Verlags-KG bei Zweitausendeins, Hamburg 1990

Lüscher, Barbara: Die Geschichte des orientalischen Tanzes in Ägypten. Diwan-Verlag, Zürich 2002